29.5.16

Wo aber Gefahr ist, ...

wächst nicht sogleich das Rettende, wie ein Hölderlinzitat es verspricht, sondern es wachsen zunächst nur Furcht und Angst. Rettung kommt erst dann, wenn alle Kräfte sich darauf konzentrieren, die Gefahr zu überwinden.
So wurden angesichts des Machtzuwachses der Zentralgewalt ihr die Gewaltenteilung entgegengestellt und die Mitwirkungsrechte der zwischenzeitlich zu Untertanen herabgesunkenen Bürger durch Revolutionen wiederhergestellt.

Technische Mittel haben die Überwachungsmöglichkeiten der Geheimpolizei von Fouché über NKWD, Gestapo und Staatssicherheit enorm gesteigert. Das Internet und Mobilfunknetze, ja mehr noch das "Internet der Dinge" haben sie erhöht und werden sie um eine weitere Größenordnung erhöhen. 

Da ist es verhängnisvoll, wenn Demokratien in falschem Vertrauen auf Geheimdienste als Retter vor Terror (vgl. NSU) die Schutzrechte der Bevölkerung, statt sie abzusichern, immer weiter beschneiden.

Weit eindrucksvoller, als ich es könnte, haben Sascha Lobo und Guillaume Paoli dazu argumentiert (vgl. auch PHILIPPE BLANCHET (französisch)).

Höchste Zeit, die Warnungen ernst zu nehmen!

28.5.16

Blogparade: Bloß kein Stress – persönliche Strategien

Herr Mess ruft zu einer Blogparade mit dem Titel „Nur kein Stress“ auf und fragt, welche Situationen wir Lehrerblogger als stressig empfinden und was wir dagegen unternehmen. (Kreide fressen)





Vorläufig begnüge ich mich mit diesem Hinweis. - Man kann zwar nicht alles übernehmen, aber allein schon der Gedanke, dass auch und gerade Hochengagierte Stressreduktion ganz wichtig nehmen sollten, ist ungeheuer wichtig.
Dazu gehört die Fähigkeit, sich keinen falschen Rhythmus aufzwingen zu lassen. Hauptschulblues hat diese Kompetenz - geradezu genial - innviertlerisch genannt.
Es geht dabei um eine Besonnenheit, die das rechte Maß zwischen Engagement und (scheinbar) sturem Beharren auf notwendigen Prioritäten (wie etwa Gesundheit) findet.*

Weitere Artikel in der Blogparade sind bei Herrn Mess verlinkt, unter anderem:
"Einblicke in ein effizientes Arbeiten bei Lehrer aus Leidenschaft
Heiko Schneider zeigt uns seine persönlichen Strategien
Nina Toller wants us to keep calm and chill
Lotta im Ref ruft auf zum Chillen
Birgit Lachner analysiert für uns ihren stressigen Alltag
Fraukleineschwester hat ein paar Tipps für uns
Auch Hauptschulblues gibt uns Einblicke in seine Bewältigungsstrategien – und lehrt und auch gleich nebenbei ein neues Adjektiv
Auch pompeji hat uns zu dem Thema etwas zu erzählen"

* In der vorigen Version habe ich an dieser Stelle die Notwendigkeit des Engagements für die Rettung aus Lebensgefahr betont. Denn im allgemeinen sagen Menschen vor allem da "nicht für mich", wo es moralisch geboten wäre, sich einzusetzen und gegebenenfalls sogar sein Leben zu riskieren (Flüchtlinge, insbesondere Judenverfolgung). Im Zusammenhang der hier notwendigen Argumentation darf das nicht vergessen werden; aber weil es als Kritik an Besonnenheit missverstanden werden könnte, bringe ich es hier nur in der Anmerkung ein. - Diese Anmerkung bietet mir auch die Gelegenheit, das vorbildliche Engagement von Karl zu rühmen, der es so weit treibt, dass für ihn speziell die Besonnenheit, öfter mal nein zu sagen,  vielleicht die wichtigste Kompetenz im Kampf gegen den Stress ist. 

21.5.16

Furcht und Angst, Zwang und Freiheit

Die, die Flüchtlinge nicht zurückweisen wollen, fürchten, dass die Rechtspopulisten stärker werden, wenn die Integration nicht gelingt.
Die, die die Flüchtlinge draußen halten wollen, fürchten, dass weniger für sie übrig bleibt, wenn viel Geld für die Integration der Flüchtlinge ausgegeben wird.
Die Unternehmer fürchten, dass die Gewerkschaften Oberwasser bekommen, wenn nicht mehr genügend Arbeitslose zur Verfügung stehen, die jede Jobmöglichkeit annehmen müssen, ob Zeitarbeit, Ein-Euro-Job oder unbezahlte Praktikumsstelle.
Die Politiker fürchten, dass ihre Klientel unzufrieden mit ihnen wird.

Für jede Furcht gibt es eine Begründung. Es bleibt nur die Frage, wie groß die Gefahr ist, die da droht. Ist die existenziell oder nur ein stets vorhandenes Risiko, das aufgrund einer veränderten Situation zwischenzeitlich größer wird?
Welche Risiken sind wirklich existenziell? Klimawandel? Krieg? Atomunfall oder unsichere Endlagerung?
"Ein Deutscher verfügt heute zum Beispiel über etwa 45 Quadratmeter Wohnraum pro Person. 1991 waren es noch 35. Um 1920 gab der Durchschnittsbürger etwa die Hälfte seines Einkommens für die Miete aus.* Heute sind es etwas über 30 Prozent. Bei deutlich gewachsenem Wohnkomfort. Das sind alles Durchschnittszahlen, die kaum etwas aussagen über die akute Lage des Einzelnen. Aber sowie man sie vergleicht mit denen anderer Länder, begreift man, wie privilegiert wir leben." (FR vom 17.5.16, S.11)
Woher kommt die Angst?

Es ist das Gefühl, dass es nicht dauerhaft so weitergehen kann und dass - wenn ein existenzielles Problem kommt - wir nicht genügend zusammenhalten, um es abzuwenden.

Je länger es so weiter geht wie bisher, desto begründeter wird diese Angst werden.
Wir sollten umsteuern.
Dafür hat jeder Rezepte, die seiner eigenen Interessenlage entsprechen. Jetzt gilt es nur noch, Demokratie ernst zu nehmen und einen Interessenausgleich auszuhandeln.

Warum ist das so schwer? Welche konkrete Furcht hält jede der oben genannten Gruppen davor zurück?
Der Friede ist der Ernstfall, in dem Demokratie sich bewähren muss, meinte Gustav Heinemann.
Der Wohlstand offenbar auch.

Für die, die einen konkreteren Hinweis brauchen, schreibt Arno Widmann in der FR (sieh oben!) noch:
"Wenn Deutschland seine Freiheit am Hindukusch verteidigen muss, darf es nicht wundern, wenn die Afghanen in Deutschland ihre Freiheit suchen."
Man könnte auch konkret anklagen: Wenn es so wichtig war, nach Afghanistan zu gehen, warum sind wir dann abgezogen, bevor unser Ziel erreicht war? Und wenn das Ziel erreicht war, warum haben wir dann so viele der Helfer (Übersetzer, Lieferanten, Informanten ...) schutzlos zurückgelassen, den Taliban ausgeliefert?
Aber das Hauptproblem liegt bei uns. Was stimmt nicht bei unserer Demokratie? Weshalb lösen wir nicht unsere Probleme, sondern exportieren sie?

Für das Problem der Verteilung der Flüchtlinge innerhalb von Europa liegt jetzt ein von Gesine Schwan und anderen entwickelter Vorschlag (ZEIT 22/2016, S.21) vor, den inzwischen auch Sigmar Gabriel unterstützt: Statt dass von oben nach festgelegtem Schlüssel verteilt wird (und dann die Kosten, die entstehen, irgendwie zwischen den einzelnen politischen Ebenen verteilt werden), sollten die Bürgermeister von Städten, die einen Bedarf an Stabilisierung der Bevölkerungszahl in ihrem Raum haben, sich um Zuweisung von Flüchtlingen bemühen können, was ihnen durch entsprechende Unterstützung attraktiv gemacht werden sollte.
Dazu gehörte freilich, dass den Flüchtlingen für eine Zeit der Wohnort vorgeschrieben werden müsste. Das passiert gegenwärtig freilich ohnehin, so lange sie noch in den Erstaufnahmelagern sind.
Andererseits wäre damit auch das fatale Problem vermieden, dass eine Gemeinde völlig unvorbereitet Wohnraum schaffen muss. (Das führt dann dazu, dass dieselbe Firma - wegen ihrer Zwangslage - von ihnen dreimal so hohe Mieten verlangen kann wie von anderen Gemeinden, die sich vorbereitet haben.)*

Anmerkungen
1920 standen durchschnittlich pro Person nur 5 Quadratmeter zur Verfügung, 1959 12 Quadratmeter.
* Dieser Artikel wurde im Blog Fonty entworfen. Inzwischen ist er wesentlich ergänzt, was aber dort übersehen würde. Deshalb habe ich ihn jetzt hier aufgenommen.

15.5.16

Trump, Gabriel, Merkel, Obama und ihre Glaubwürdigkeit

Bei Trump kann man nicht sicher sein, ob er alle Verrücktheiten begehen wird, die er ankündigt. Freilich beruhigen kann seine mangelnde Glaubwürdigkeit nicht.

Gabriel lässt die Abteilung Bürgerdialog seines Ministeriums Folgendes mitteilen:
Über die vorläufige Anwendung von Teilen von CETA entscheiden die demokratisch gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments und der EU-Handelsministerrat (und somit die Mitgliedstaaten). Das heißt: Ohne eine Zustimmung von Parlament und Rat kann CETA nicht vorläufig angewendet werden. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass das Europäische Parlament seine Verantwortung sehr ernst nimmt. Es hat bereits Abkommen abgelehnt, die seinen Ansprüchen nicht genügten.
Falls die EU-Kommission dem Rat (und somit den Mitgliedstaaten) vorschlagen wird, CETA vorläufig anzuwenden, wäre dies kein Novum. Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge der EU ist im EU-Verfassungsrecht vorgesehen und entspricht der üblichen, langjährigen Praxis der EU-Freihandelsabkommen. Sie bezieht sich immer nur auf diejenigen Teile des Abkommens, die eindeutig in der ausschließlichen EU-Zuständigkeit liegen und die Kompetenzen der Mitgliedstaaten nicht berühren. Eine Vorfestlegung für ein Inkrafttreten des gesamten Abkommens wird nicht getroffen.*
Die Teile des Freihandelsabkommens, für die die Mitgliedstaaten zuständig sind, können erst nach dem erfolgreichen Abschluss der nationalen Ratifizierungsverfahren in Kraft treten. Das heißt: Das gesamte Abkommen kann erst dann vollständig in Kraft treten, wenn alle nationalen Parlamente der 28 EU-Mitgliedstaaten - auch Bundestag und Bundesrat in Deutschland - ihm zugestimmt haben. Stimmen Bundestag und Bundesrat dem Abkommen nicht zu, kommt es endgültig nicht zu Stande. Damit sind auch die Teile, die in die Kompetenz der EU fallen, nicht mehr anwendbar.
Die Investitionsschutzbestimmungen sind von der vorläufigen Anwendung ausgenommen, weil eben hier auch mitgliedstaatliche Kompetenzen betroffen sind. Damit wird der Teil, der politisch besonders kontrovers ist, ohne Zustimmung des Bundestages und Bundesrates zu CETA nicht zur Anwendung kommen.
Weitere Informationen sowie Antworten auf häufig gestellte Fragen rund um das Freihandelsabkommen CETA haben wir hier für Sie zusammengestellt: http://bmwi.de/DE/Themen/Aussenwirtschaft/Freihandelsabkommen/ceta.html
* Ceta: Der Bundestag interessiert in Brüssel nicht ZEIT online 13.5.16

Mich beruhigt diese Mitteilung nicht. Meine Kalkulation: Entweder wird mir nur Sand in die Augen gestreut oder Gabriel und Merkel sind sich sicher, dass ihre Druckmittel reichen, die Zustimmung einer Mehrzahl der Mitglieder der Bundestagsfraktionen und des Bundesrats hinter sich zu bringen.

Weshalb? Weil die Staaten Algerien, Marokko und  Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollen, obwohl zumindest die Bundestagsabgeordneten alle wissen könnten, dass sie das nicht sind.

Glaubwürdig macht das weder Gabriel noch Merkel. Glaubwürdig ist Merkel noch nicht einmal mit der Behauptung, sie wolle TTIP durchsetzen. Wozu noch TTIP, wenn multinationale Konzernen mit CETA ihre Ziele genauso erreichen können?

Dagegen zweifle ich nicht an Obamas gutem Willen, das Folterlager Guantanamo  zu schließen. Eher schon daran, dass er daran geglaubt hat, dass ihm das je gelingen würde.
Und ich halte es für gut möglich, dass er nicht zuletzt deshalb in seinem Amt so gealtert ist, weil er seine Drohnenkriege für ethisch nicht akzeptabel und für politisch verhängnisvoll hält, nur keine Alternative kennt, die ihm erlauben würde, das, was er in seiner Präsidentschaft in seinem Sinne vorangebracht hat, über die Zeit zu retten.
In diesem Falle halte ich ihm seine mangelnde Glaubwürdigkeit also zugute.

Dass Merkel die Masse der Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen lieber außerhalb der Grenzen Deutschlands geschehen sieht, glaube ich ihr, auch ohne dass sie es sagt. Schließlich: Wenn ein Guantanamo, dann besser nicht im eigenen Land. Das hat sich selbst Bush junior gesagt.

Damit habe ich nicht zum Ausdruck bringen wollen, Erdogan habe Millionen von Flüchtlingen in die Türkei gelassen, weil es ihm egal wäre, wenn in den Lagern menschenunwürdige Zustände herrschen. Sicher hat Mitgefühl und das Gefühl "Wir schaffen das" dabei eine nicht ganz vernachlässigenswerte Rolle gespielt. Die Abmachungen mit der EU verdanken sich freilich wohl kaum Erdogans Mitgefühl mit Flüchtlingen. Und allenfalls höchst mittelbar Merkels Mitgefühl.

Dieser Artikel wurde von mir zunächst in Fonty veröffentlicht. Er scheint mir aber doch so wichtig, dass ich ihn auch in meinem Hauptblog festhalten möchte.

1.5.16

Ist das erlaubt? Darf das sein?

"Unser zehnjähriger Sohn besucht die fünfte Klasse eines bayerischen Gymnasiums. Seit dem zweiten Halbjahr hat er an einem Tag durchgehend acht Stunden Unterricht: bis 13:15 Uhr im Klassenzimmer, ab 13:30 Uhr noch zwei Stunden Sport. Da der Sportunterricht pünktlich beginnen soll, bleibt den Kindern nach Ortswechsel und Umziehen kaum Zeit, etwas zu essen."  (Süddeutsche Zeitung 28.4.16)

Nach der Gesetzeslage ist es - wie die Süddeutsche Zeitung es vorträgt - offenbar nicht verboten, und allgemein gibt es gute Gründe, den Schulen möglichst viel Autonomie für die Anpassung an die lokalen Gegebenheiten zu geben. 

Meine Position ist freilich: Es mag erlaubt sein; aber es darf nicht sein. Wenn die Gesetzeslage zu solchen Regelungen führt, dann muss das Gesetz geändert werden.

Denn es kann zwar sein, dass wegen des Busfahrplans die Schule genötigt ist, eine solche Entscheidung zu treffen; aber dann muss eine Regelung her, dass in sich in solchen Fällen der Busfahrplan nach den Bedürfnissen der Schule zu richten hat. Oder aber die Schule dürfte sich wegen dieses Busfahrplans nicht für G8 entscheiden. 

Dass ich so klar dazu Position beziehen kann, liegt allerdings auch daran, dass ich der festen Überzeugung bin, dass auf die Gesamtschulzeit gerechnet ein oder zwei Stunden weniger für alle Fächer zusammen keinen entscheidenden Einfluss auf den Lernerfolg haben. Der Nachteil, der durch die Überlastung entsteht, hebt nämlich den Vorzug der Mehrstunden auf.
Zwar trete ich für G9 ein, weil dann mehr Zeit für individuelles Engagement in schulische Aktivitäten wie Schülervertretung, Chor, Orchester, sportliche Aktivitäten usw. bleibt. Aber wenn man unbedingt G8 anbieten will, dann ist eine zu hohe Belastung an einzelnen Tagen schädlicher als eine etwas größere Kürzung am Curriculum.