26.11.15

"Schüler brauchen ökonomisches Wissen"

"Schüler brauchen ökonomisches Wissen", dieser Forderung, die der verdiente Wissenschaftler Christoph Lütge in ZEIT online aufstellt, kann ich uneingeschränkt zustimmen. 
Interessant ist freilich, welches ökonomische Wissen er für unverzichtbar hält:
"Nachhaltiges Wirtschaften spielt in Unternehmen eine immer größere Rolle. Aber auch Ökologie muss im Rahmen ökonomischer Mechanismen funktionieren, damit sie nicht nur eine abstrakte Idee bleibt, sondern wirksam umgesetzt wird. Ökologische Probleme lassen sich letztlich nur durch ökonomische Mechanismen lösen.[…] Die Marktwirtschaft hat nicht nur im Westen, sondern mittlerweile auch in vielen anderen Regionen der Erde den Lebensstandard breiter Bevölkerungskreise in historisch unvergleichlicher Weise angehoben. Auch das sollte im Fach Wirtschaft vermittelt werden." (Schulfach Wirtschaft, ZEIT online 24.11.15)

"Nachhaltiges Wirtschaften spielt in Unternehmen eine immer größere Rolle."
Dies Wissen ist sicher geeignet, zu erklären, wieso nicht nur VW, sondern auch mehrere andere Automobilkonzerne auf den Versuch, vorgeschriebene Abgaswerte einzuhalten verzichtet und statt dessen die kontrollierenden Stellen raffiniert betrogen haben.

"Die Marktwirtschaft hat [...] den Lebensstandard breiter Bevölkerungskreise in historisch unvergleichlicher Weise angehoben."
Sicher eine überzeugende Erklärung, weshalb in der Flüchtlingskrise die "Wirtschaftsflüchtlinge" eine so wichtige Rolle spielen, dass man glaubt, ihretwegen eine "Obergrenze" für die Aufnahme von Flüchtlingen festlegen zu müssen. 

Was die Lobby der Arbeitgebervertreter noch nicht erfolgreich genug schafft (gegen ihren Protest darf eine Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung, die Lobbyarbeit von Arbeitgeberseite kritisch in den Blick nahm, wieder erscheinen), will Professor Lütge jetzt im Namen der Wissenschaft durchsetzen. 

Da interessiert mich doch, wie lange er noch dulden wird, dass das Funkkolleg Wirtschaft differenziertere Informationen über wirtschaftliche Zusammenhänge vermittelt.
Wird doch unter anderem die hochgefährliche These vertreten, dass gewinnorientiertes Denken selbst die an sich sehr ressourcenschonende Share Economy durch Bedarfsweckung zu einem höchst verschwenderischen Mehrverbrauch von Ressourcen führen könne (wie die Zunahme des Carsharing - anstelle eines Ausbaus des öffentlichen Nahverkehrs - in den Großstädten zu belegen scheint). 

Wenn man dem Kommentar Ein Kniefall vor den Arbeitgebern in ZEIT online vom 16.11.15 trauen darf, hat die Arbeitgeberlobby sich freilich bei der Einführung des Schulfachs Wirtschaft in Baden-Württemberg durchgesetzt. Dirk Lange konstatiert dazu:
"Herausgekommen ist der Entwurf eines monodisziplinären Unterrichtsfachs, das eine verengte Sichtweise auf das Ökonomische entwirft. Die Wirtschaftswissenschaften werden zur Hauptbezugsquelle eines sozialwissenschaftlichen Lerngegenstandes.
In diesem Fall wird der Homo Oeconomicus zum Leitbild der ökonomischen Bildung. Dabei wird beansprucht, mit Modellierungen der ökonomischen Verhaltenslehre die soziale Welt zu erklären. Dies soll quasi eine Alternative zu den diskursiven Formen sein, in denen sich die Unterrichtsfächer der politischen Bildung bislang mit ökonomischen Phänomenen auseinandergesetzt haben."

"Schüler brauchen ökonomisches Wissen": 
Dazu gehört u.a., dass nach dem Beschluss des Kyoto-Protokolls "der Anstieg der Emissionen aus Gütern, die in Entwicklungsländern produziert, aber in Industrieländern konsumiert werden, sechsmal größer war als die Emissionseinsparungen der Industrieländer" ("Groth in Emission Transfers via International Trade from 1990 to 2008", zitiert nach Naomi Klein: Die Entscheidung, S.103). 
Mehr dazu in: 
Fragen und Antworten zur UN-Klimakonferenz in Paris

Außerdem sollten Schüler wissen, dass das TTIP es erlauben würde, jede umweltschützende nationale Gesetzgebung in den USA und in Deutschland zu Fall zu bringen, die die Gewinnerwartung von Investoren aus einem der Länder beeinträchtigen könnte. 


Warum wir dringend ein Schulfach Wirtschaft brauchen von Klaus Hurrelmann, 30.11.15  mit 843 Raktionen
"Für mich ist es unverständlich, warum nicht mithilfe eines Schulfachs Wirtschaft bereits in der Grundschule ein Verständnis für komplexe Themen wie Alterssicherung ausgebildet wird.  [...] Viele Jugendstudien zeigen: 40 Prozent der jungen Leute sind sich mittlerweile sehr wohl bewusst, dass sie sich viel intensiver um ihre Rente sorgen müssten – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie sind die erste Alterskohorte, die von der Veränderung der Rentenfinanzierung voll getroffen wird und lediglich mit einer Rente von 40 bis 43 Prozent der letzten Bruttobezüge rechnen muss. Das ist wenig, viel zu wenig. Wer nicht mit einer betrieblichen und einer privaten Altersversorgung plant – oder zu den Glücklichen gehört, die ausreichend erben –, dem droht somit zwangsläufig die Altersarmut. [...]"

Wem jetzt noch nicht klar ist, wofür hier das Schulfach Wirtschaft eingeführt werden soll, ahnt es vielleicht bei diesen Sätzen von Tim Wessels: Ich möchte selbst entscheiden, wie ich fürs Alter vorsorge:
Im März 2012 habe ich eine Online-Petition gegen die Pläne des Arbeitsministeriums zur Einführung einer Rentenversicherungspflicht für Selbstständige eingereicht. Nachdem die Petition über 80 000 Mitunterzeichner gefunden hatte, in der Presse aufgegriffen worden war und ich von der damals zuständigen Ministerin Ursula von der Leyen zu mehreren sehr guten und umfangreichen Gesprächen eingeladen worden war, wurde das Projekt letztlich „auf Eis gelegt“.

Den Selbständigen soll eine Mitwirkung bei der Sozialversicherung erspart werden. Da es aber Selbständige gibt, die mit einer privaten Versicherung nie eine zureichende Alterssicherung erreichen können, soll der Staat die privaten Versicherungen mit Steuermitteln so weit aufstocken, dass sie attraktiver werden als die gesetzliche Rentenversicherung. Weil das jedem, der ein bisschen mitdenken kann, noch deutlicher als die heutigen Riester-Renten als Subventionierung unattraktiver privater Angebote auffallen würde, soll schon Grundschulkindern eingeredet werden, dass das ein sinnvolles Modell wäre.

Nicht überall ist der Lobbyismus so deutlich zu greifen. Dass aber ein Schulfach Wirtschaft, das die sozialen und ökologischen Zusammenhänge des Wirtschaftens ausklammert, gefährlichen Lobbyismus bedeutet, dürfte auch ohne das klar sein.


vgl. auch:

La Repubblica - Italien
Es geht um die Landwirtschaft 
Auch die Klimakonferenz in Paris gesteht sich nicht ein, dass die Landwirtschaft entscheidend zur Erderwärmung beiträgt, kritisiert der Begründer der Slow-Food-Bewegung Carlo Petrini in der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica: "Allein die Viehzucht-Branche ist verantwortlich für 14 Prozent der Treibhausgase. ... Dennoch tauchen auf den 54 Seiten, die die Verhandlungsbasis für die Pariser Klimakonferenz bilden, Begriffe wie Landwirtschaft, Biodiversität und Anbau nicht ein einziges Mal auf. Man konzentriert sich auf die Bereiche Energieversorgung, Schwerindustrie und Transport. Man spricht zwar auch über Bodenschutz und Nahrungsmittelsicherheit, doch wird der konkrete Zusammenhang zwischen Klima, Landwirtschaft und Nahrung nicht ausdrücklich benannt. … Um das Problem der Erderwärmung konkret anzugehen, bedarf es eines ökonomischen, kulturellen und sozialen Paradigmenwechsels. Es gilt, eine Landwirtschaft zu fördern, die auf ökologischen Methoden basiert, und das System der Herstellung, des Vertriebs und des Zugangs zu Nahrungsmitteln grundlegend zu verändern." (27.11.2015) 

» zur Homepage (La Repubblica)
Mehr aus der Presseschau zu den Themen » Landwirtschaft» Klimawandel

25.11.15

Terrorismus, Flüchtlingskrise und Wetterkatastrophen sind nur Symptome.

Eine Vulnerabilitätsanalyse des Bundesumweltministeriums sagt für Deutschland voraus: doppelt so viele heiße Tage (über 30 Grad), mehr Flutkatastrophen, weit häufigere Frühjahrs- und Sommertrockenheit. (Frankfurter Rundschau vom 25.11.15)
Harald Welzer sagt: Diese Folgen bei uns sind vernachlässigenswert im Vergleich zu den Folgen in den Tropen. Die Flüchtlingskrise ist keine Krise, sie wird Dauerzustand werden, denn Kriege und Hungersnöte sind Folgen des Klimawandels. (FR 24.11.15)
"Jeden Tag ziehen 200 Freiwillige aus dem Westen ins "Kalifat". Dort lassen sie sich zu modernen Barbaren ausbilden." (FR 25.11.15)

Diese Mitteilungen sagen uns nichts Neues. Wir dürfen sie aber nicht als die grundlegenden Probleme verstehen, sondern müssen den Zusammenhang erkennen und die Ursachen berücksichtigen.
Die freiwilligen Terroristen haben überhaupt nichts gegen unseren Lebensstil, sie wollen nur nicht ausgeschlossen sein. Das gilt noch viel mehr für die Selbstmordattentäter aus dem arabischen Raum: Lieber im Himmel als ein Leben lang darben und gleichzeitig Zuschauer sein beim Luxusleben im Westen. (Schließlich gibt es Satellitenfernsehen.) Ausgeschlossen fühlen sich auch die sunnitischen ehemaligen Offiziere Saddam Husseins, die jetzt die Kader des IS bilden, der jetzt wie die sunnitische Mehrheit in Syrien gegen den schiitischen Assad kämpft.
Die Kriege, denen die Flüchtlinge entkommen wollen, werden zu einem immer größeren Anteil durch den ausbeutenden Welthandel und den Klimawandel, der Wasserkonflikte hervorruft, verursacht.
Die Klimafolgen in Deutschland werden zwar mehrstellige Milliardenkosten verursachen, sind aber völlig harmlos gegenüber den Folgen in den jetzt schon benachteiligten Ländern. Die Zahl der Klimaflüchtlinge wird die der Kriegsflüchtlinge übersteigen, wenn erst einmal nicht nur Südseeinseln, sondern auch große Teile Bangladeschs und anderer Küstenzonen überflutet sein werden.

Vorausschauende Politik würde also nicht nur Wohnraum und Schul- und Ausbildungsplätze für Flüchtlinge schaffen, sondern die katastrophalsten Folgen des Klimawandels abzumildern suchen.

Die Flüchtlingskrise ist eine Folge des Anstaus an den Grenzen der "Festung Europa". Jetzt kommen die geballt zu uns, die man seit Jahrzehnten ausgesperrt hat.
Das zugrunde liegende Problem ist der Klimawandel, für den Klimakriege und Klimaflüchtlinge nur Symptom sind.
Warum wird die Klimakonferenz von Paris wieder einmal keinen Fortschritt bringen? Weil wir die Zusammenhänge noch nicht sehen wollen und uns die Probleme unserer Energie- und Automobilkonzerne näher stehen als die der Benachteiligten in Europa (vergleichsweise sehr wenige) und in der Welt.
Der "Islamische Staat" ist kein Lehrer. Aber dass Terrorismus gerade in Paris ausbricht und von Brüssel aus gesteuert wird, sollte uns klar machen, wo wir ansetzen müssen, wenn wir die Ursachen von Terrorismus, Flüchtlingskrise und Wetterkatastrophen bekämpfen wollen.

George W. Bush hat mit dem letzten Irakkrieg kräftig dazu beigetragen, den "Islamischen Staat" ins Leben zu rufen. Wenn sein Missgriff uns die Augen öffnen sollte, dann könnte Paris doch einen Erfolg bringen.
Ich wäre froh, wenn meine Vorhersage seines Scheiterns sich als falsch erweisen würde.

mehr dazu: 2052

24.11.15

Klimaflüchtlinge oder Gender-Star?

Halle (AFP) Mit einem Sternchen sollen sich bei den Grünen künftig auch diejenigen Menschen sprachlich berücksichtigt fühlen, die nicht mit den Begriffen "Mann" oder "Frau" beschrieben werden können oder wollen. Der Grünen-Parteitag beschloss am Sonntag in Halle an der Saale mit großer Mehrheit einen Antrag des Bundesvorstands, in den Beschlüssen der Partei den sogenannten Gender-Star zu verwenden. Mit Schreibweisen wie Bürger*innen oder Student*innen würden "Transsexuelle, transgender und intersexuelle Personen nicht mehr unsichtbar gemacht und diskriminiert", heißt es zur Begründung. (AFP

Klimaflüchtling

STUDIE: KLIMAFLÜCHTLINGE - DIE VERLEUGNETE KATASTROPHE Greenpeace 19.06.2007

KLIMAFLÜCHTLINGE: RECHT- UND HEIMATLOS Greenpeace 14.10.2014
"In den Entwicklungsländern vertreibt der Klimawandel schon heute Millionen Menschen aus ihrer Heimat. Ihre Häuser versinken in den Fluten, ihre Äcker verdorren, ihre Brunnen versiegen."

Wohin mit den Klimaflüchtlingen? Süddeutsche Zeitung 20.6.2014

Irgendwie gelingt es den Grünen immer wieder, mit originellen Themen ins Gespräch zu kommen.

mehr dazu:  Terrorismus, Flüchtlingskrise und Wetterkatastrophen sind nur Symptome.

23.11.15

"Die Mauer muss weg."

"Die Mauer muss weg." Der Spruch ist über 27 Jahre alt.
Die Berliner Mauer, auf den er sich bezog, ist über 25 Jahre weg.
Seitdem hat die Zahl der Grenzsperranlagen von weltweit 16 auf inzwischen 65 zugenommen. Fast täglich hört man von Plänen für neue Anlagen.
Während die "Festung Europa" sich noch darauf beschränkte, unwillkommene Einreise zu verhindern, sind europäische Regierungschefs jetzt unterwegs und bieten Diktatoren Geld dafür an, dass sie ihre Bevölkerung an der Flucht hindern.
Man stelle sich vor, Kohl hätte Honnecker Milliarden dafür geboten, die Mauer zu errichten, statt Häftlinge aus DDR-Haft freizukaufen. 1989 wäre das noch undenkbar gewesen. Heute sind wir nicht mehr weit davon entfernt. Natürlich nicht davon, Honnecker Geld anzubieten, aber die Ähnlichkeit ist doch groß.

Ich bin weit davon entfernt, abzustreiten, dass das Problem, dem sich die Bundesrepublik gegenwärtig gegenübersieht, einfach zu lösen wäre.
Ja, wir kommen sicher um schmerzhafte Maßnahmen nicht herum. Und ich plädiere in keiner Weise dafür, dass wir versuchen sollten, Flüchtlingszahlen von 10% oder 20% unserer Bevölkerung zu akzeptieren - Verhältnisse, mit denen der Libanon seit Jahren lebt.

Aber es muss doch Lösungen geben, wozu auch die, denen es gut geht, fühlbar beitragen.
Ab wann fühlen Multimilliardäre, dass ihnen etwas abgeht?

20.11.15

Versucht Deutschland heimlich, Asylverfahren zu verhindern?

"Auf die Aufforderung aus Deutschland, den Flüchtlingsstrom zu ordnen und zu verlangsamen, haben im Oktober von Mazedonien bis nach Österreich alle Länder auf der Balkanroute positiv reagiert. [...] Zäune, wie der schon 80 Kilometer lange zwischen Kroatien und Slowenien, sollen verhindern, dass die Übergangsstellen umgangen werden. Österreich plant an der Grenze zu Slowenien einen Zaun von 25 Kilometern Länge und hat im Bauplan für eine Übergangsstelle südlich von Graz einen Ausgang vorbereitet, durch den nicht akzeptierte Flüchtlinge „ausgeleitet“ werden sollen.
Mit der Entscheidung Mazedoniens, Serbiens und Kroatiens, einen Teil der Flüchtlinge abzuweisen, bekommen die Grenzanlagen erst einen Sinn. Jedoch widerspricht die neue Regelung nach Auffassung des UN-Flüchtlingshilfswerks dem Grundsatz, dass jeder Zugang zu einem ordentlichen Asylverfahren haben müsse, betont UNHCR-Sprecherin Sunjic.(Hervorhebung von mir)

NORBERT MAPPES-NIEDIEK  schreibt dazu in der Frankfurter Rundschau vom 20.11.15 
"Damit verletzen Mazedonien und Serbien auf deutschen Druck die Genfer Flüchtlingskonvention." (Hervorhebung von mir)

Dazu passt die ältere langfristigere Analyse der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
"[...] In Deutschland zeichnet sich dabei die Tendenz ab, immer stärker zwischen Bürgerkriegsflüchtlingen (vor allem aus Syrien, dem Irak und Afghanistan) auf der einen Seite und Armutsflüchtlingen (vor allem aus den Staaten des Westbalkans, also Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo, Albanien und Mazedonien) auf der anderen Seite zu unterscheiden. Während Bürgerkriegsflüchtlinge zur Zeit mit einer Anerkennung in Deutschland rechnen können, sollen Armutsflüchtlinge möglichst schnell wieder zur Ausreise veranlasst werden. Befürworter argumentieren, dass Deutschland seine Kapazitäten für die Aufnahme wirklich schutzbedürftiger Menschen brauche. Kritiker halten dagegen, dass bestimmte Gruppen auf dem Balkan, beispielsweise Roma und Sinti, diskriminiert würden und deshalb ebenfalls auf Schutz angewiesen seien. [...]" (Flüchtlinge in Deutschland)

mehr dazu in demselben Artikel unter der Überschrift "Ist Deutschland besonders stark belastet?" 
"Für das Jahr 2015 liegen noch keine Vergleichszahlen vor. Laut dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR lag Deutschland im Jahr 2014 zwar auf Platz 2, was die absolute Zahl der Asylantränge (etwa 202.000 im Jahr 2014) betrifft. Doch die absolute Zahl der Flüchtlinge lag in vielen Ländern weit höher: auf Platz 1 lag die Türkei, die fast 1,6 Millionen Flüchtlinge vor allem aus dem benachbarten Syrien aufgenommen hat. Auf Platz 2 lag Pakistan mit etwa 1,5 Millionen Flüchtlingen, auf Platz 3 der Libanon mit etwa 1,2 Millionen Flüchtlingen. Berücksichtigt man die Bevölkerungszahl der Gastländer, dann war die Belastung des kleinen Libanons mit vier Millionen Einwohnern besonders hoch: hier kamen im Jahr 2014 auf 1000 Einwohner 232 Flüchtlinge, in Jordanien waren es 87. In der Türkei kamen auf 1.000 Einheimische 21 Flüchtlinge, in Schweden 15 und auf Malta 14. Zum Vergleich: Deutschland hat 2014 bezogen auf 1.000 Einwohner 2,5 Flüchtlinge aufnehmen* - diese Zahl dürfte für das Jahr 2015 bei 10 bis 12 liegen."
*gemeint: "aufgenommen" (von mir)

17.11.15

Weshalb ich einen neuen Artikel im ZUM-Wiki angelegt habe

Im Februar 2015 erschien bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) ein Sammelband zur sozioökonomischen Bildung.
Daraufhin forderte am 5. Juni 2015 Peter Clever von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), in einem Schreiben die bpb dringend auf, 
"das Buch nicht weiter zu vertreiben. Die Publikation enthalte, so Clever, "ideologische" und "voreingenommene Anschuldigungen" hinsichtlich der Öffnung von Schulen für Unternehmen und des zunehmenden Lobbyismus an Schulen. [...] Das Bundesinnenministerium als vorgesetzte Behörde der bpb hat umgehend und ohne Prüfung der Vorwürfe ein Vertriebsverbot ausgesprochen." (Arbeitgeber machen Druck auf Bundeszentrale für politische Bildung, „WAP” das Berufsbildungsportal der IG Metall vom 22.10.15)
"Inzwischen hat sich auch der wissenschaftliche Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Fall befasst. Das Ergebnis ist, wie man hört, eine Niederlage für das Innenministerium: Die große Mehrheit der Experten stimmte für eine Aufhebung des Vertriebsverbotes." (SPON, 26.10.15)

Zu recht stellt der Spiegel die sich selbst entlarvende Äußerung Peter Clevers heraus:
"Besonders echauffiert hatte sich Arbeitgeber-Geschäftsführer Clever in seinem Brandbrief übrigens über das Kapitel zum Thema Lobbyismus. Es werde ein "monströses Gesamtbild von intransparenter und eigennütziger Einflussnahme der Wirtschaft auf Politik und Schule gezeichnet", schrieb er darin."
Weiter bemerkt der Spiegel dazu: 
"Vielleicht ist ja auch der Versuch des BDA, ein Wirtschaftsbuch aus dem Verkehr zu ziehen, künftig ein gutes Beispiel für den Unterricht." (SPON, 26.10.15)
Inzwischen hat das Ministerium das Vertriebsverbot wieder aufgehoben (Innenministerium hebt Vertriebsverbot wieder auf, SPON 29.10.15)
Inzwischen häufen sich aber die Meldungen über Lobbyismus an Schulen (z.B. Lobbyismus an Schulen, heute: RWE und die Braunkohle  2.11.15 und taz.de vom 11.11.15),  und ich habe mich verpflichtet gefühlt, der Empfehlung von Spiegel online zu folgen. Da ich aber längst im Ruhestand bin, kann ich das nicht mehr im Unterricht, sondern nur durch Anlegen eines Artikels zu Lobbyismus im ZUM-Wiki, der sich zugegebenermaßen vor allem auf Lobbyismus in der Schule konzentriert. So ist dort inzwischen u.a. auch Lobbyismus an Schulen, ein Artikel der Lobbypedia, verlinkt.
Vielleicht regt das ja den einen oder anderen an, das Thema mal im Unterricht aufzugreifen. So bald wird es an Aktualität nicht verlieren.

12.11.15

Worin besteht der Zusammenhang zwischen dem 20.7.1944 und TTIP?

Art. 20 Abs.4 des Grundgesetzes ist nur deshalb entstanden, weil man 1968 einsah, dass selbst das Grundgesetz von 1949 noch erlaubt hätte, selbst berechtigten Widerstand als Hochverrat zu werten
Der neue Artikel 20 lautete:
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Natürlich kann sich jede kommende Regierung noch darauf berufen, es wäre andere Abhilfe möglich, und gegen berechtigten Widerstand vorgehen. Aber wenigstens das Gewissen des Einzelnen ist entlastet. 
Und unabhängige Gerichte dürfen darüber entscheiden, ob der Widerstand berechtigt ist.

Aktuell wichtig ist das z.B. im Kontext von TTIP. Wenn das TTIP - wie es den Anschein hat* - tatsächlich auf alle Zeiten die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Umweltgesetzgebung der BRD in die Hände von Schiedsgerichten legt, die nicht "an Gesetz und Recht gebunden" sind, dann ist Widerstand gegen TTIP durch das Grundgesetz gerechtfertigt, "wenn andere Abhilfe nicht möglich ist".

Den Attentätern vom 20.7.1944 und ihren Verwandten ist in der Nachkriegszeit noch lange Unrecht geschehen. Widerstand gegen TTIP aber ist ausdrücklich erlaubt, wenn die Verfassungsorgane der BRD nicht bereit sind, ihre Rechte gegenüber den Verhandlungspartnern EU und USA zu wahren.

Das ist eine sehr aktuelle heutige Bedeutung des 20.7.1944.

* In diesem Kontext geht es vor allem um den letzten Absatz auf S.14

Zur Erläuterung zitiere ich noch den einschlägigen Artikel der Wikipedia:

In einem offenen Brief an den US-Handelsbeauftragten haben mehr als 40 Organisationen, darunter Bürgerrechtsbewegungen, Naturschutzbünde und mehrere Kirchen, aufgefordert den Investitionsschutz aus den Verhandlungen zu streichen. Sie bemängeln, die Regierung könne in einem Schiedsverfahren ausschließlich die Rolle des Beklagten einnehmen und dass selbst im Gewinnfall die durchschnittlichen Prozesskosten in Höhe von acht Millionen Dollar auf die Steuerzahler entfielen.[94][95]Franz Kotteder, Autor des Buches Der große Ausverkauf. Wie die Ideologie des freien Handels unsere Demokratie gefährdet, sieht Abkommen wie TTIP am Anfang einer gewaltigen Umwälzung stehen, an deren Ende der zügellose Markt stehen könnte. Das transatlantische Freihandelsabkommen sieht er als Teil eines Geflechts von Verträgen (CETA, TiSA, TTP), die allesamt dasselbe Ziel verfolgen: die Umsetzung einer neoliberalen Agenda, die multinationale Konzerne von allen Beschränkungen, die ihnen durch Regierungen auferlegt wurden, befreien soll. TTIP sei damit „Teil eines Weltstaatsstreichs der internationalen Wirtschaftsverbände und der großen Konzerne“.[96] sieh Seite „Transatlantisches Freihandelsabkommen“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 11. November 2015, 08:08 UTC. URL:https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Transatlantisches_Freihandelsabkommen&oldid=147922126 (Abgerufen: 12. November 2015, 09:11 UTC)






11.11.15

Flüchtlingskrise: Nachhilfe für Lehrer

"Nachhilfe für Lehrer" kündigt die Überschrift des Artikels der FAS an, der Bericht beginnt freilich mit einem denkbar harten Praxistest für Lehramtsstudenten, wo man sie ins Wasser wirft, mit wechselnden Gruppen von teils traumatisierten Flüchtlingen arbeiten lässt und ihnen dazu Tipps gibt, wie sie ein Untergehen vermeiden.
Das kann lehrreich sein, wenn es begleitet wird von erfahrenen Praktikern, die zu motivieren und aufzubauen verstehen. Wahrscheinlicher ist aber, dass die angehenden Lehrer nur Überlebensstrategien für sich selbst lernen und den Versuch, den besten Weg für die Schüler zu finden, schon bald aufgeben.
Insgesamt ist der Artikel von der bekannten gefährlichen Illusion geprägt, es bedürfe nur der entsprechenden Ausbildung, um einen Sprachunterricht auf stets wechselndem Niveau so zu organisieren, dass nebenher noch genügend Zeit und Gelegenheit ist, Traumatisierten eine Therapie zu bieten, die ihnen ermöglicht, binnen Kurzem alle Lerndefizite auszugleichen.

Selbstverständlich ist intensive Ausbildung für den Umgang mit neuen äußerst komplexen Unterrichtssituationen nötig. Aber darüber hinaus bedarf es auch qualifizierten Personals, das Traumata aufarbeiten kann.

5.11.15

Schmerlenbacher Appell: Freie und offene Lernmaterialien für Flüchtlinge

Offener Brief von OER-Initiativen an die öffentliche Hand

Bildung ist ein Schlüssel zur Integration von Flüchtlingen. Für das Gelingen spielen professionelle, ehrenamtliche und non-formale Bildungsangebote eine zentrale Rolle.
Die Unterzeichner begrüßen, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein entsprechendes Maßnahmenpaket im Umfang von 130 Millionen Euro angekündigt hat. Auch andere Akteure der öffentlichen Hand sind und werden aktiv, insbesondere um Lernmaterialien für Flüchtlinge entwickeln zu lassen.
Um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit entsprechender Maßnahmen zu gewährleisten, fordern die Unterzeichner:
Von der öffentlichen Hand geförderte Lernmaterialien müssen offen lizenziert sein!

1.11.15

Das ZUM-Treffen 2015 hat einen wichtigen Schritt zur Bündelung der Kräfte für OER gebracht

Bald werden bessere Berichte, als ich sie geben könnte, im ZUM-Wiki zu finden oder verlinkt sein.
Doch so viel kann ich schon sagen, obwohl ich nach dem intensiven Treffen noch nicht zu einem fundierten Statement imstande bin:

Der Bericht von Jöran Muuß-Merholz über den gegenwärtigen Stand der Initiative für OER hat die Anwesenden beim ZUM-Treffen motiviert, sich zusammen zu tun, und die ZUM strebt jetzt eine Partnerschaft mit dem Bündnis Freie Bildung an. Die Chance der Krise, von der ich im vorigen Artikel sprach, ist nicht links liegen gelassen worden.
Zu einem Durchbruch ist es sicher noch weit, aber ein wichtiger Schritt ist getan.

Zu den Ergebnissen der Arbeitsgruppen im ZUM-Pad (wird nach einiger Zeit gelöscht)

Schmerlenbacher Appell

OER-Atlas eine Art „Gelbe Seiten” für offene Unterrichtsmaterialien

Bei dieser Gelegenheit:
Einen Blick in die Anfänge der ZUM vor ihrer Entstehung ermöglicht das
Interview mit Karl-Friedrich Fischbach