29.10.15

Familie Mann und die Familiensynode in Rom

In der neusten Nummer der ZEIT (Nr.44 vom 29.10.15) finden sich vier Artikel, die ich schon jetzt mit großem Interesse gelesen habe.
Zum einen eine Besprechung von Tilmann Lahme: Die Manns. Geschichte einer Familie. Dann die Seite Glauben & Zweifeln* mit drei Artikeln.
Michael Maar berichtet über Die Manns, dass Lahme auf jede Interpretation verzichtet habe, sondern nur Tatsachen sprechen lasse. Und schon sein Artikel reicht aus, um meine nicht ganz bescheidene Kenntnis der Familie Mann um wesentliche Facetten zu erweitern. Maars Fazit:
Die Liebe überhaupt, wo bleibt sie in dieser düsteren Moritat? "Du sollst nicht lieben" - das war die Bedingung des Teufels im Doktor Faustus dafür, dass Adrian Leverkühn der Durchbruch in der Kunst gelang. Sie galt wohl auch für den Mann, dessen Werk wir verehren und der für seine Familie ein Unglück war.
Evelyn Finger schreibt über den jüngsten der vier Präsidenten der Familiensynode, Luis Antonio Tagle und zitiert ihn:
Jede Familie hat ihre Wunden, sichtbare und unsichtbare. Es ist die Sache der Kirche, diese Wunden zu heilen, statt Schuld für Verletzungen zuzuweisen. 
Lahme und Maar haben Wunden der Familie sichtbar gemacht, die der Öffentlichkeit so genau noch nicht bekannt waren. Sie haben nicht versucht, diese Wunden zu verstecken, wie frühere Biographen es oft mit  den Wunden ihrer Helden getan haben, oder zu heilen, wenn sie Nazitätern - wie es nicht ganz selten vorkam - zur Heilung ihrer Wunden zu einem Exil in Argentinien verhalf.

Ich bin gegen an die Öffentlichkeit zerren und bewundere die Noblesse von Uwe Johnsons Frau, die - meiner Kenntnis nach - nie öffentlich zu den Vorwürfen Stellung genommen hat, die ihr Mann ihr nach der Trennung gemacht hat. Ich bin auch für heilen, auch wenn es um Wunden Schuldiger geht. (Eindrucksvoll hat Schlink in Der Vorleser vorgeführt, wie viel Recht auf Heilung eine Nazitäterin haben kann.) Dennoch habe ich Beispiele angeführt, wo man wohl eher für das Sichtbarmachen und gegen das Heilen sein kann. Und dennoch möchte ich weiter zitieren, wie Luis Antonio  Tagle fortfährt, als er über das Heilen gesprochen hat.
Verurteilen ist leicht. Helfen ist schwer. Es erfordert nicht nur Geduld, sondern Mut. Das christliche Credo lautet: Begegne dem anderen voller Gnade!
Ich nehme noch einmal meine Eltern als Beispiel. Beide sind jetzt 85 und noch recht stark, sie reisen immer noch, aber allmählich schwinden ihre Gesundheit, ihre Energie, ihr Gedächtnis. Ich muss zugeben, manchmal macht mir das Angst. Wer will seine Eltern schon schwach sehen? Ich hoffe, dass ich neue Wege finde, mit ihnen umzugehen, auf ihre Nöte zu reagieren - ohne sie zu bevormunden und ihre Freiheit einzuschränken. 
 In der Öffentlichkeit ist Kritik wichtig, privat Vergebung und Heilen. Die Kirche sollte das prophetische Wort finden, wenn sie über Ungerechtigkeit auf dieser Welt spricht. Wenn sie zu denen spricht, die nicht den kirchlichen Weg zum Heil gehen konnten, sollte sie sprechen, "ohne sie zu bevormunden und ihre Freiheit einzuschränken".
Das gilt auch für uns gegenüber Pegida, den Reformverweigerern in der Kirche und alle anderen, gegen die uns zu wenden, wir politische Gründe haben. Öffentlich kritisieren, aber ohne ihre Menschenwürde zu missachten und zu Gewalt gegen sie zu greifen. Privat sich um Verständnis zu bemühen, wie wir es auch mit unseren eigenen Schwächen und Fehlern tun sollten.

*Die ZEIT im Vorbericht über diese Seite:
Familiensynode: Die unvollendete Revolution – Die Familiensynode in Rom findet einen Kompromiss. Er klingt weich, könnte aber alles ändern. Dazu: Der Textchef der Synode, Bruno Forte, spricht über das Ende des Duckmäusertums.

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