6.2.14

Wie lange kann ein historisches Ereignis dauern?

Bei gutefrage.net fragt kirc89, ob es eine Liste von historischen Ereignissen geordnet nach ihrer Dauer gibt. Er gibt Beispiele und zählt dabei die Zeitdauer auf, die Lazarus im Grab lag, bis er wieder auferweckt wurde, und schlägt vor, in dieser Weise Ereignisse aufzulisten bis zu Ereignissen von 365 Tagen.

Frage und Antwortversuch führten mich auf meine Frage? Gibt es eine bestimmte Zeitdauer, bei der man nicht mehr von einem historischen Ereignis sprechen kann, sondern von einem historischen Geschehen, das aus vielen Ereignissen besteht?

Ich zitiere meine Antwort auf gutefrage.net:

Nach der Wikipedia ist ein Ereignis "das Auftreten eines beobachtbaren Geschehens".
Interessanterweise kennt sie freilich keine historischen Ereignisse.
Deine Frage halte ich für sehr nützlich. Mit "bis 365 sollte das dann schon gehen" deutest du nämlich an, dass die Renaissance für dich kein Ereignis ist, vermutlich auch nicht der Holocaust, dann auch nicht der Erste Weltkrieg. Warum aber der Sechs-Tage-Krieg?
Kann man ein Geschehen, das eine große räumliche und zeitliche Ausdehnung hat, beobachten?
In der Geschichte unterscheidet man zwischen Anlass und Ursache eines historischen Geschehens. Anlass kann ein Ereignis sein, die Ursache wird stets ein komplexerer Zusammenhang sein.
Wenn du bekannte historische Geschehen nach ihrer Dauer ordnest, wirst du bald darauf stoßen, dass jedes deiner Ereignisse in viele Ereignisse zerfällt. Was war die Mondlandung? Der Flug zum Mond samt Rückkehr??? Das Aufsetzen der Fähre? Der Schritt von Neil Armstrong? - In der Wikipedia kann man die dortige Definition nachlesen. Danach geschah die erste Mondlandung nicht 1969, sondern 1966. Der Vorgang von 1969 aber zerfällt in Einzelereignisse mit einer Dauer von einer bis wenigen Sekunden bis zu Ereignissen, die vielleicht Stunden dauerten. Welches Ereignis kann einen ganzen Tag dauern? - Eine Hinrichtung, eine Geburt? Wann setzt eine Geburt ein? Bei welchen Wehen? ...
Ich denke, da gibt es Anlass für eine fruchtbare Diskussion.
Ich behalte mir vor, bis es zur Diskussion kommt, die Überlegungen noch etwas fortzuführen.

Ein historisches Ereignis ist ein Vorgang, dem von Historikern Ereignischarakter zugeschrieben wird.
Vielleicht das eindrucksvollste Beispiel ist die Entdeckung Amerikas. Allgemein spricht man nicht von der Entdeckung Südamerikas und Nordamerikas, die man dann klar getrennt einerseits Columbus, andererseits den Wikingern zuschreiben könnte. Außerdem spricht man davon, Columbus habe Amerika entdeckt, nicht der Ausguck, der zuerst Land sah. Zwar hat der Ausguck das Land als erster gesehen; aber der entscheidende Vorgang ist für die Historiker offenbar die offizielle Inbesitznahme für den spanischen König, und die konnte nicht ein einzelner Matrose vornehmen, sondern nur der Kommandant.

Offenkundig ist ein historisches Ereignis meist ein etwas komplexerer Vorgang; also die Thronbesteigung, nicht der Augenblick, wo die Krone den Kopf des neuen Herrschers berührt. Aber dieser Vorgang muss als Gesamtereignis wahrgenommen werden, nicht als viele Einzelvorgänge. Also Geburt und Tod, nicht der Sterbeprozess; Schlacht, nicht Krieg; Entdeckung, nicht Eroberung; Einmarsch, nicht Besetzung.

Freilich, die Öffnung der Mauer am 9.11.1989 schließt die Öffnung aller Übergänge, die an dem Tag geöffnet wurden, ein. Sie kulminierte wohl beim ersten Schritt eines DDR-Bürgers ohne Visum über die Grenze; doch kein Historiker würde behaupten, der hundertste oder der tausendste wäre bei der Öffnung der Mauer nicht dabei gewesen.

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