28.12.13

Die Wahrheit ist selten einfach oder: Chodorkowski III

Bei dem Satz "Von jeder tiefen Wahrheit gilt auch das Gegenteil" habe ich mir geholfen, indem ich ihn für eine tiefe Wahrheit erklärt habe. Es gibt zu viele Beispiele, wo er zu passen scheint und zu viele, wo er nicht recht passen will.*
Bonhoeffers "Was heißt die Wahrheit sagen?" führt vor, wie fragwürdig Kants kategorischer Imperativ in einem totalitären System wird.
Václav Havels "Versuch, in der Wahrheit zu leben" heißt nicht ganz zu Unrecht in der Originalversion leicht paradox "Die Macht der Ohnmächtigen".
Lessing hält die Kenntnis der Wahrheit für übermenschlich. Menschensache sei nur das Streben nach Wahrheit.  

So gesehen scheint der Anspruch, Chodorkowski richtig zu beurteilen, vermessen. Dennoch will ich nach zwei Anläufen einen dritten unternehmen.

Marieluise Beck berichtet in der ZEIT vom 27.12.13 darüber, was Berater von Chodorkowski halten.
Arseni Roginski, der Anfang der 80er Jahre selbst im Lager gefangen war, meint, dass es Michail Chodorkowski schon in der Jelzin-Zeit "nicht mehr um noch mehr Reichtum ging. Er sah, dass dieser begabte junge Mann zu verstehen begann, dass ein korruptes Russland, indem wenige sich den Reichtum aufteilten, in den Ruin getrieben würde." (Beck) "[...] er hat eine neue Welt gesehen hinter dem Stacheldraht russischer Lager. Gewalt unter Häftlingen. Das Ausgeliefertsein der Insassen an das Lagerregime. Wirst du beschuldigt, hast du keine Chance. Wirst du erpresst, gibt es niemanden, an den du dich wenden kannst. Wird dir Gewalt angetan, bist du schutzlos. Chodorkowski ist nicht verbittert oder hart geworden. Aber entschieden. Entschieden, dass diese existenzielle Erfahrung seine Richtschnur sein wird für künftiges Handeln. Noch sind seine beiden Yukos-Partner nicht frei." (Beck, ZEIT, 27.12.13)

Diese zusätzlichen Informationen entwerten nicht die Kritik der "Nachdenkseiten", die ich hier zitiert habe, sie relativieren sie aber. Was dort steht, bleibt - trotz des Versuchs, bei de Seiten zu Wort kommen zu lassen - unvollständig ohne die hier angeführten Zusatzinformationen; aber selbstverständlich erlauben auch die nur ein sehr unvollständiges Bild. Auch seine Webseiten auf Englisch und Russisch, liefern vermutlich im wesentlichen Einseitiges und verfälschen daher vielleicht nur. (Daher hier noch einmal ein kritischer Kommentar Jakob Augsteins, der darauf verweist, dass andere Dissidenten sich von vornherein nicht bereichern wollten.)

Es steht zu hoffen, dass Chodorkowskis Taten das positive Bild Marieluise Becks erhärten werden.
Vielleicht wird er aber auch erst der, als den sie ihn jetzt schon sieht.

*Der Satz ist von mir vereinfacht und daher falsch zitiert. Im Gespräch zwischen Heisenberg und Bohr sagte Bohr: "Das Gegenteil einer richtigen Behauptung ist eine falsche Behauptung. Aber das Gegenteil einer tiefen Wahrheit kann wieder eine tiefe Wahrheit sein."

Tweets zu Chodorkowski 

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