4.9.13

Ist Merkel marktkonform und alternativlos?

"Marktkonforme" Demokratie und "alternativlose" Bankenrettungen sind die zwei Begriffe, mit denen Angela Merkel meiner Meinung nach sehr präzis beschrieben hat, wie sie den Stellenwert ihrer Politik im Kontext von Gesellschaft und Wirtschaft sieht.
Wie nach Lenin die Gewerkschaften der Transmissionsriemen der Politik zur Masse der Werktätigen sein sollten, so versteht sie sich offenbar als Transmissionsriemen, der Forderungen "der" Wirtschaft (will sagen: der mächtigsten* Konzerne) möglichst effektiv umsetzt und Reibungsverluste, die durch Bedenken in der Bevölkerung entstehen könnten, verhindert.

Carolin Emcke hat nun mit Hilfe einer Sprachuntersuchung von ca. 2800 im Internet greifbarer Äußerungen Merkels herausgearbeitet, dass sie das Aufkommen von Widerspruch und Bedenken vor allem durch Unschärfe erreicht.
Emcke formuliert "Merkels Sprache arbeitet mit einer permanenten Immunisierung gegen [...] jeden Zweifel" und weist darauf hin, dass sie damit ihre rhetorische Forderung nach "Freiheit in Verantwortung" durch ständiges Weichspülen aller Kontroversen und die Unterstellung, all ihre Entscheidungen seien "alternativlos" als Worthülse entlarvt.

Meine Antwort auf die Titelfrage lautet also: Merkel ist marktkonform, aber nicht alternativlos.
Das gilt m.E. sogar innerhalb der CDU. Doch so lange sie noch Wahlen gewinnt, wird das kein CDU-Mitglied zugeben.

Um den Appetit auf Carolin Emckes Beitrag noch etwas zu steigern, hier noch zwei Zitate.
Das erste stammt von Angela Merkel und bezieht sich auf die Frage, ob sie das Entstehen einer nationalistischen Bewegung befürchte.
Merkel:  "Wir befinden uns in einem sehr komplizierten Prozess, in dem viele Menschen daran zweifeln, dass alles ein gutes Ende nehmen wird. In solchen Momenten wird die Sehnsucht nach einfachen kurzen Lösungen groß. Die aber gibt es nicht, sondern nur einen Prozess aufeinanderfolgender Maßnahmen."
 Carolin Emcke dazu:  "Angela Merkel weiß [die] Duldung der Beherrschten durch eloquente Dethematisierung kontroverser Themen zu erzielen."

 Spannend ist auch, was Emcke über Merkels Verwendung des Wortes "spannend" zu sagen weiß.

*Mir ist klar, dass meine Aussage, Merkel orientiere sich an den "mächtigsten Konzernen" ihrerseits unter Unschärfe leidet. Natürlich liegt das an fehlendem Insiderwissen. Ich weiß nicht, wer den größten Einfluss auf Merkel hat. Schwerlich weiß sie es selbst.
Etwas präziser wird die Aussage aber, wenn man festhält, dass die Konzerne mit der mächtigsten Lobby, nicht die mit der größten Bilanzsumme, gemeint sind. Dabei dürfte es klar sein, dass es nicht um Bestechung geht. Angela Merkel besticht man nicht mit Geld und nicht mit Jobs. (Darin unterscheidet sie sich meiner Überzeugung nach von manchem anderen Politiker.) Mächtig wird eine Lobby aber durch Definitionsmacht. Wenn es gelingt, Merkel etwas als wirtschaftlich alternativlos darzustellen, dann wird sie dem folgen.
Insofern dürfte Josef Ackermann lange Zeit einer der mächtigsten Lobbyisten in Berlin gewesen sein, wenn nicht der mächtigste. Beim Umgang mit der Eurokrise orientiert sie sich gewiss an ihrem Beraterstab, doch werden der und sie bestimmt wesentlich durch Experten aus Bankenkreisen beeinflusst. (Es gibt dafür eine ganze Reihe von Hinweisen, die durch die Presse gegangen sind.)
Genauer kann ich nicht bestimmen, was die mächtigsten Vertreter der Wirtschaft sind.

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